Entscheidung oder Widerspruch? Die Debatte um die beste Lösung bei der Organspende

Der am 31. Oktober im Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO) legt den Fokus auf eine Verbesserung der strukturellen und finanziellen Voraussetzungen in den Entnahmekrankenhäusern. Diese werden als wesentlicher Grund für die niedrige Zahl der Organspenden angeführt. Dazu gehört zum Beispiel eine Freistellungsregelung für Transplantationsbeauftragte. Außerdem sollen Leistungen, die mit der Organentnahme im Zusammenhang stehen, besser vergütet werden. Der Gesetzentwurf und die dort enthaltenen Änderungen haben bisher eine sehr positive Resonanz erzeugt, unter anderem auch bei den Oppositionsparteien, der Bundesärztekammer und Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).

Der Gesetzentwurf beinhaltet keine Änderung der Entscheidungsregelung zur Organspende. Trotzdem hat Bundesgesundheitsminister Spahn im September die Debatte um die mögliche Einführung einer sogenannten Widerspruchslösung angestoßen. Diese ethische Debatte wollen wir aber bewusst losgelöst von den oben genannten strukturellen und finanziellen Änderungen führen. Bisher gibt es dazu noch keinen Gesetzentwurf. Die Debatte wird nicht an Fraktionen gebunden sein und es wird dazu bereits an interfraktionellen Anträgen gearbeitet.

Worum geht es? In Deutschland gilt seit dem 01. November 2012 die sogenannte Entscheidungslösung, d.h. alle Menschen sollen zu Lebzeiten entscheiden, ob sie einer Organspende nach dem sogenannten Hirntod zustimmen oder nicht. Damit sie eine informierte und unabhängige Entscheidung treffen können, informieren die Krankenkassen ihre Versicherten regelmäßig über dieses Thema.

Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist freiwillig. Sie wird nur auf dem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung festgehalten, nicht aber von den Krankenkassen oder einer zentralen Stelle erfasst. Wenn jemand keine Entscheidung für oder gegen Organspende getroffen hat, werden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person gefragt.

In einer ganzen Reihe von europäischen Ländern gibt es statt einer Zustimmungs- oder Entscheidungslösung die sogenannte Widerspruchslösung oder erweiterte Widerspruchslösung. Hier gilt: Hat eine Person zu Lebzeiten der Organspende nicht ausdrücklich widersprochen, können nach dem Tod Organe zur Transplantation entnommen werden. Bei der erweiterten Widerspruchslösung haben die Angehörigen das Recht, der Organentnahme zu widersprechen, wenn keine Entscheidung der verstorbenen Person vorliegt.

In einer ersten Orientierungsdebatte am 28. November 2018 haben wir im Bundestag darüber diskutiert, ob die Einführung einer (erweiterten) Widerspruchslösung in Deutschland denkbar und sinnvoll wäre.

Was spricht dafür? Was spricht dagegen? Diejenigen, die die Widerspruchslösung befürworten, führen an, dass diese Lösung Rechtsklarheit schaffen würde, da Zustimmung oder Widerspruch klar in einer Datenbank nachvollziehbar wären. Die Lösung bedeute keinesfalls einen Zwang zur Organspende, sondern wahre das Selbstbestimmungsrecht, fördere aber die Auseinandersetzung mit dem Thema. Zudem könnten Angehörige entlastet werden, da sie nur noch befragt werden müssten, wenn weder Zustimmung noch Widerspruch vorliegen. Gegner der Widerspruchslösung dagegen sehen in dieser Lösung einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Eine harte Widerspruchslösung, ohne das Einbeziehen von Angehörigen, könnte sogar ein Verfassungsverstoß sein, da Schweigen oder Enthaltung juristisch nicht als Zustimmung gewertet werden können. Eine Spende setze Freiwilligkeit voraus. Dazu kommt, dass es keine Studie gibt, die bisher belegt, dass die Zahl der Organspenden nach Einführung der Widerspruchslösung in anderen Staaten gestiegen ist.

In der Orientierungsdebatte haben sich darüber hinaus einige Abgeordnete für eine verbindliche Entscheidungslösung als Alternative ausgesprochen. So könnte zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ausstellung von Ausweisdokumenten die Einstellung zur Organspende abgefragt werden.

Wie stehe ich dazu? Ich habe bisher den Eindruck gewonnen, dass diese schwierige Debatte über die Widerspruchslösung sehr ernsthaft und lösungsorientiert geführt wird. Wir brauchen eine Lösung, die die Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende in der Bevölkerung befördert und zu einer höheren Anzahl an Organspenden führt. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, dass eine Regelung gefunden wird, die Rechtsklarheit schafft. Klar ist aber auch, dass die Entscheidung für eine (verpflichtende) Entscheidungslösung oder eine (erweiterte) Widerspruchslösung alleine das Problem der niedrigen Organspendezahlen nicht lösen kann. Wir haben es zum einen mit strukturellen und finanziellen Mängeln zu tun, die der vorliegende Gesetzentwurf angeht. Zum anderen aber spielen mangelnde Informationen, Transparenz und Vertrauen in das System eine große Rolle. Die Menschen müssen dem System vertrauen und eine bewusste, informierte Entscheidung für oder gegen die Organspende treffen können. Es darf dabei auch keinen Zwang oder moralischen Druck geben: ‚Nein‘ zu sagen muss genauso vertretbar sein wie ‚Ja‘.

Ich werde die Diskussion um die Frage des Zustimmungsverfahrens zur Organspende weiterhin genau verfolgen und alle Informationen in meinen persönlichen Meinungsbildungsprozess einbeziehen.

Weitere Informationen zum Thema Organspende finden Sie auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung